Gelesen: Corpus Delicti

Schlösser an der Welle

In einem Vorabdruck des Buches „Schamverlust. Vom Wandel der Gefühlskultur“ von Ulrich Greiner habe ich in der Zeit gelesen, dass „sich ein neuer Puritanismus eingeschlichen hat, der alles, was die Leistungsfähigkeit einschränken könnte, unter die Strafe der Peinlichkeit oder gar des schuldhaften Versagens stellt.“

Genau dieses Thema, auf die Spitze getrieben sozusagen, ist Inhalt des tollen Buches Corpus Delicti von Juli Zeh. Es spielt in einem totalitären Staat, der es sich zur obersten Aufgabe gemacht hat, die Gesundheit der Menschen zu bewahren. Koste es, was es wolle. Essen, Handlungen, Sauberkeit ist reglementiert. Der Körper wird einer totalen Kontrolle unterzogen. Der Besuch des Waldes ist verboten (der Gefahr für Leib und Leben wegen), das Eintauchen der Füße ins Wasser eines Flusses oder Sees ebenso.  Eigentlich unschuldig gerät Mia in das Räderwerk des Justizapparates. Sie wird verdächtigt Mitglied der Terrorgruppe RAK (Recht auf Krankheit!) zu sein. Diese wollen sich der Kontrolle des Staates entziehen und frei sein, das zu tun was ihnen gefällt (rauchen, baden, Alkohol trinken). Weil Genussmittel nicht erlaubt sind, wir in dieser Welt nur heißes Wasser mit Zitrone getrunken.

Zehs Dystopie zeigt auf, wohin eine Verknüpfung von Gesundheitswahn und Überwachungsstaat führen kann. Die (begründeten) Befürchtungen der Kontrolle des Internets haben wir ja schon. Mit der QS Bewegung betreiben wir die Datafizierung der Gesundheitsdaten und dann fehlt nur noch die Zusammenführung und der Zwang. Dazu wird es hoffentlich nie kommen. Der Roman erschien 2009 und das ist insofern interessant, als das damals von QS und Internet Überwachung in dem Maße noch nicht die Rede war. Juli Zeh ist, was Überwachung angeht schon lange am Puls der Zeit. Ihre Fachbücher zum Thema sind ebenfalls immer wert, gelesen zu werden.

QS finde ich selbst extrem spannend. Mit Nike+ bin ich da auch aktiv. Trotzdem möchte ich mich davon nicht terrorisieren lassen. Hier kommt allerdings zur von außen auferlegten Gesundheits- und Fitnessnorm noch Gamification hinzu. Die macht es zusätzlich schwer, nicht übermotiviert zu sein. Aber ich bin stark.